Mama Alexandra schreibt ihrer Tochter Mira einen Brief über Kinder, die Schmerzen haben und gesagt bekommen, dass es doch gar nicht weh tut.
In ihrem vierten Brief an Mira erzählt Alexandra, wie Mira im Krankenhaus an der Zehe punktiert wird, und der Arzt behauptet, dass es nicht weh tut.
Wenn Mira (5 Jahre) die Liebe zum Lesen entdeckt, wird Alexandra ihr die Briefe, die sie schon jetzt schreibt, geben.
Liebe Mira,
Schmerz wird von verschiedenen Menschen ganz unterschiedlich erlebt. Weißt Du noch, als Susi hinfiel und schrie oder als Tami hinfiel, ohne zu weinen? Wenn Du das beobachtest, kannst Du nicht genau wissen, wie stark es dem anderen gerade weh tut. Du siehst aber das Gesicht des anderen und das verrät Dir, wie es ihm geht. Oder seine Stimme sagt Dir, wie sich der andere fühlt.
Als Du Dich verletzt hast und beim Arzt warst
Vor kurzem hast Du Dich verletzt. Beim Spielen fiel Dir eine Platte auf den Zehennagel, Dein Zehennagel wurde blau und der Zeh ganz dick. Aua! Unter Deinem Nagel entstand viel Druck, weil sich das Blut dort sammelte und fest wurde. Du warst verwirrt und hattest Angst. Der Arzt, der in den Zehennagel gepickst hat, damit der Druck aufhört, meinte „es tut nicht weh.“ Seine Idee war, Dich zu beruhigen und Dir die Angst zu nehmen. Oder er konnte es nicht mehr ertragen, dass viele Kinder weinen und wollte seine Ruhe. Ärzte erleben oft, dass andere Schmerzen haben. Das kann schwer sein. Tatsache war, es tat weh und es verwirrte Dich, dass der Arzt behauptet, dass es nicht weh tut.
„Es tut gerade weh und das ist doof“ habe ich gesagt. Ich war auch sauer, dass Dir jemand sagt, was Dir weh tut oder nicht. Wie soll er das denn wissen?
Es hat Dir jedenfalls nicht geholfen zu sagen, dass es nicht weh tut. Es stimmte nicht. Nachdem Du erst einmal verwirrt warst, dass es nicht weh tun soll, obwohl es weh tut, warst Du verärgert: Du lügst! haben Deine Augen gesagt. Warum soll ich so tun, als ob es nicht weh tut?
Was brauchst Du, wenn Du Schmerzen hast?
- Brauchst Du jemanden, der einfach da ist? Jemanden, der Deinen Schmerz sieht und Deine ängstlichen Augen?
- Du willst dennoch nicht hilflos da liegen? Dann atme mit dem Schmerz und mit der Angst lange aus; drücke meine Hand, so fest Du kannst…Du fühlst Dich auf dieser Krankenhausliege schon hilflos genug, obwohl Du nicht hilflos bist.
- Brauchst Du Trost? Manchmal stößt Du mich sogar weg, wenn ich Dich trösten will, ganz so, als wolltest Du sagen „ist schon gut, ich komme klar.“
Vielleicht brauchst Du manchmal auch etwas, was ich nicht geschrieben habe. Jeder Mensch und jede Situation ist anders. Wer gerade Schmerzen erlebt, braucht Menschen, die diese Schmerzen sehen. Ich weiß nicht immer, was Du brauchst. Ich mache Fehler, will Dich trösten, obwohl Du es gar nicht brauchst. Aber ich lerne auch dabei, zu sehen, was Du brauchst. Ob und wie Du Dir Hilfe holst, entscheidest Du, denn manchmal hast Du Schmerzen, aber wenn Du lernst, was Du brauchst, kannst Du etwas tun!
In Liebe,
Mama
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